Ob Beziehungs-Aus, Jobverlust oder Finanzengpass: In Krisensituationen suchen viele Betroffene die Schuld beim ungeduldigen Partner, beim gemeinen Chef bei den rücksichtslosen Banken. Was wir jedoch im Aussen vorfinden, hat jedoch meist ebenso etwas mit uns selbst zu tun.
Denn wir sind auch Gestalter unseres Lebens und mit jeder Entscheidung die wir treffen beeinflussen und prägen wir unser Leben mit. Dafür dürfen wir die Verantwortung übernehmen. Wer auf sein eigenes Handeln den Fokus legt, erlangt die Macht über das eigene Leben zurück, kommt auf diese Weise aus der Opferrolle heraus und wird wieder handlungsfähig.
Vielen Menschen leben jedoch «unbewusst». Sie sind sich nicht bewusst, was sie geprägt hat, was sie denken und wie sie damit unbewusst ihr Leben steuern. Sie wiederholen alte Muster und Prägungen aus ihrer Kindheit. Diese Verstrickungen, die sich in dieser Zeit aus gutem Grund gebildet haben – oft um emotional über die Runden zu kommen – werden jedoch für den Erwachsenen zum Hemmschuh, wenn er die alten Glaubenssätze, Schutzstile und Verhaltensnotlösungen nicht reflektiert und auflöst.
Wer sich nicht reflektiert, steht in der Gefahr, eigene blinde Flecken auf andere zu projizieren oder in Drucksituationen in destruktive, kurzsichtige Handlungsmuster zu verfallen. Nur wenn wir unser Denken, Fühlen und Handeln reflektieren, können wir gesund agieren und bleiben Gestalter unseres Lebens. Das gilt auch für die Gestaltung von Beziehungen. Vielfach neigen wir in Partnerschaften oder in der christlichen Partnersuche dazu, unbewusste Anteile von uns oder Erfahrungen aus der Ursprungsfamilie auf andere zu übertragen.
Was, wenn meine familiären Prägungen, wir nennen sie mal «Stallgeruch», mit denen meines Partners bzw. meiner Partnerin kollidieren? Was, wenn wir uns ständig Dinge vorwerfen, die wir beide zu Hause so gelernt oder einfach adaptiert haben und für uns selbst völlig normal, gewohnt sind und wir als richtig empfinden, die aber unserem Partner fremd, ungewohnt und seltsam vorkommen? Oder wir haben wunde Punkte in der eigenen Seele, die wir unbewusst noch zu schützen versuchen, aber in einer Partnerschaft werden diese früher oder später getriggert werden. Was ist, wenn wir somit ständig in Streitereien geraten, der in keinem Verhältnis zum Auslöser zu stehen scheinen?
Ist die Wut oder der Schmerz eines Partners unverhältnismässig stark und steht in übertriebener Proportion zum Auslöser, dann traf dieser auf die wunde Stelle, die aus einer früheren Phase der Biographie stammt. Meist aus vorangegangenen oder auch aus familiären Beziehungen – insbesondere zum gegengeschlechtlichen Elternteil. Das dürfen wir uns immer öfters bewusst machen und beginnen, uns damit auszusöhnen, zu vergeben und heute anders zu handeln.
Viele tendieren jedoch dazu, in der Opferrolle zu verharren. Sie fühlen sich fremdbestimmt, ihrer Freiheit beraubt oder ausgeliefert. Dieses «Opferdenken» – alle anderen sind schuld – bindet sehr viel Energie und schränkt die eigene schöpferische Kreativität ein. Gleichzeitig ist diese Haltung aber auch bequem. Wir müssen keine Verantwortung übernehmen und andere sind dann schuld, wenn etwas nicht klappt.
Wir sind jedoch nicht einfach ausgelieferte Opfer. Jeder Reiz, jede Situation, die uns von aussen trifft, erfährt in unserem Denken zuerst eine individuelle Bewertung, eine Deutung. Wir geben somit Aussenreizen eine bestimmte Be-Deutung. Und wir reagieren primär auf diese Deutung, nicht so sehr auf den Aussenreiz – auch wenn sich das so anfühlt.
Wir können nicht kontrollieren, was andere sagen oder tun, aber wir können kontrollieren, wie wir darauf reagieren. Genauso wenig können wir steuern, was andere über uns denken, sehr wohl aber, was wir davon glauben.
Befreie dich aus deiner Opfer-Haltung, indem du von der Mitfahrer Position in die Steuerposition wechselst. Werde zum aktiven Gestalter deines Lebens! Übernimm Eigenverantwortung für dein Handeln.
Mir kommt beim Schreiben die Geschichte mit dem Gelähmten aus dem Neuen Testament in den Sinn, der fast 40 Jahre am Teich Bethesda lag und darauf wartete, dass er auch mal dran war mit einem Wunder. (Joh. 5,1-18) «Bethesda» kommt vom Hebräischen beijt-eschdatajin, «Haus der Barmherzigkeit». Anders als in anderen Heilungsgeschichten fragt Jesus ihn nicht: «Was willst du, dass ich dir tun soll?» Sondern Jesus fragt direkt: «Willst du gesund werden?» Der Lahme ist sich seit Jahren daran gewöhnt, in diesem Umfeld zu leben. Das war sein Stallgeruch. Nicht hilfreich zwar, aber immerhin bekannt und das gibt ja auch eine gewisse Form der Sicherheit. Und es wird deutlich, dass er keinen Engel braucht, der für ihn das Wasser bewegt – sondern einen Willen, den er aktivieren kann, um aus dieser Situation rauszugehen. Und er braucht einen Menschen, Jesus, der ihn wahrnimmt und ihm hilft. Die Lähmung ist nicht nur körperlich. Er ist auch mental und in seinem Willen gelähmt. Er fühlte sich als Opfer. Jesus mutet ihm zu: «Steh auf!» Im griechischen Text steht egeire – das ist das Aufstehen am Morgen, der morgendliche Weckruf, das Erwachen.
Wo brauchst du momentan einen solchen Weckruf im Leben? Wo bist du herausgefordert, endlich Verantwortung für dich, dein Leben und deine Entscheidungen zu übernehmen und aufzustehen, für dich einzustehen und eigenverantwortlich zu handeln.
«Steh auf, nimm dein Bett und geh!»
Christoph Hickert ist Dipl. Coach & Supervisor BSO und psychologischer Berater in eigener Beratungs-Praxis in Männedorf am schönen Zürichsee.
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